Essenza Nobile: Mr. Chong, seit 2007 sind Sie Kreativdirektor bei Amouage. Wie wird man eigentlich Kreativdirektor eines der luxuriösesten Parfumhäuser der Welt? Haben Sie eine Stellenanzeige gelesen und sich beworben, oder wie ist es dazu gekommen?
Christopher Chong: Es war Schicksal und ist einfach passiert. Damals stand das 25-jährige Firmenjubiläum von Amouage an, mit dem ein Wechsel der Markenausrichtung einhergehen sollte. Gesucht wurde ein Kreativdirektor mit künstlerischem Hintergrund, der jedoch nichts mit Parfum und Kosmetik zu tun hatte. Ich habe immer schon daran geglaubt, dass es sehr wichtig ist, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein – ich hatte wahrscheinlich einfach Glück.
Essenza Nobile: Sie sind kein Parfümeur – aber der Kreativdirektor eines Parfumhauses. Welche Aufgaben hat ein Kreativdirektor in der Parfumbranche und wie sieht die Zusammenarbeit zwischen Ihnen und den Parfümeuren aus?
Christopher Chong: Ich überwache die Produktentwicklung sowie den Designprozess und alle Marketingaktivitäten. Ich kreiere die Stimmung und gebe vor, wie das Parfum letztendlich duften soll. Danach suche ich die Inhaltsstoffe aus und entscheide, wie diese zu mischen sind. Schließlich suche ich nach den idealen Parfümeuren, die bereit sind, meine Konzepte und Ideen umzusetzen. Ich gebe ihnen vor, was ich mag und was ich nicht mag und passe die Formel gemeinsam mit ihnen daran an.

Traumfabrik der Düfte: AMOUAGE
Essenza Nobile: Ihre Karriere ist sehr unkonventionell und außergewöhnlich facettenreich. Wenn ich mal zusammenfassen darf: Sie haben an der Fordham University Vergleichende Literaturwissenschaften studiert, haben Ihre eigene Modelagentur gegründet, haben Ihren Master of Arts in Literatur- und Sprachwissenschaften sowie Europastudien absolviert und haben verschiedene Kurse – mit Fokus auf Design und Marketing – am London College of Fashion besucht. Und als ob das noch nicht genug wäre, haben Sie zudem Unterricht in Operngesang erhalten, an internationalen Operngesangswettbewerben und -festivals teilgenommen und als Manager des British Weekly Magazins gearbeitet. Sind Sie einfach ein geborener Workaholic – oder werden Sie eher von unerschöpflichem Lebensdurst und Wissenshunger getrieben, der Sie dazu bewegt, immer neue Erfahrungen machen zu wollen?

Christopher Chong
Christopher Chong: Ich war jung und wusste damals einfach nicht, wie es ist, Angst zu haben! Um ehrlich zu sein glaube ich nicht, dass das, was ich bisher gemacht habe, so spektakulär ist. Ich habe das Leben schon immer als ein großes Abenteuer betrachtet, in dem man einfach nicht aufhört zu lernen und neue Erfahrungen zu sammeln – gute wie schlechte. So habe ich das Leben schon immer gesehen.
Essenza Nobile: Man sagt, dass Sie bereits im Alter von vier Jahren mit der Parfumwelt in Berührung gekommen sind. Möchten Sie uns von diesen ersten Parfum-Erfahrungen berichten?
Christopher Chong: In meiner Kindheit war ich von Kaufhäusern fasziniert. Sie waren wie große Spielplätze für mich – insbesondere die Beautyabteilungen im Erdgeschoss, die mich mit ihren verschiedenen Düften gefesselt haben. Ich habe mich wie in einer anderen Welt, in einem Wunderland gefühlt – es war wie Magie! Vielleicht ist es genau dieses Gefühl, das ich versuche in all meinen Parfums einzufangen: Das Dufterlebnis soll magisch sein.
Essenza Nobile: Erinnern Sie sich auch noch an Ihren ersten Kontakt mit der Marke Amouage und den dazugehörigen Produkten?
Christopher Chong: Ja, ich fand die Düfte überwältigend. Ich empfand sie ein bisschen als „over the top“ – also fast ein bisschen zu viel des Guten. Da spricht wohl der Künstler in mir. Als ich zum ersten Mal die Amouage-Parfums gesehen habe dachte ich, dass sie wunderschön sind – jedoch fehlte mir der Kern bzw. die Seele der Düfte. Für mich muss ein Produkt mehr als nur schön sein. Es muss ausdrucksstark sein und mit dem Konsumenten in den Dialog treten können.

Showroom im Besucherzentrum der AMOUAGE-Fabrik
Essenza Nobile: Welches der Amouage-Parfums tragen Sie selbst am liebsten? Oder tragen Sie überhaupt Ihre eigenen Düfte? Man hört ja zuweilen sogar von Schauspielern, die sich strikt weigern, ihre eigenen Filme anzuschauen…
Christopher Chong: Leider kann ich Parfum heute nicht mehr nach Lust und Laune tragen. Ich muss meine Haut immer frisch und rein halten, um neue Parfums ausprobieren zu können, an denen ich gerade arbeite.
Essenza Nobile: Wie bereits erwähnt, sind Sie ein ausgebildeter Opernsänger, ein Bariton. Wann haben Sie zuletzt gesungen?

Christopher Chong
Christopher Chong: 2005. Das Singen ist ein Kapitel meines Lebens, mit dem ich abgeschlossen habe.
Essenza Nobile: Es fällt auf, dass die Geschichten hinter den Amouage-Düften häufig mit künstlerischen Themen zu tun haben wie Musik, Literatur und der Oper… Spontan muss ich zum Beispiel an den Duft „Honour“ denken, der durch die Oper „Madame Butterfly“ von Giacomo Puccini inspiriert ist. Ist das Ihre persönliche Note, die Sie an Amouage weitergeben? Also, die Welt der Musik und der Künste mit der Parfumwelt zu verbinden?
Christopher Chong: Vielleicht. Ich bin mir jedoch nicht dessen bewusst, dass ich Amouage eine persönliche Signatur gebe. Möglicherweise sind die Marke und ich im Laufe der Zeit miteinander verschmolzen. Wir sind eine Einheit geworden. Das passiert jedoch automatisch, wenn eine Marke und ihr Kreativdirektor so eng miteinander zusammenarbeiten. Das kann man zum Beispiel auch bei vielen europäischen Modehäusern beobachten.
Essenza Nobile: Was haben Musik und Düfte gemeinsam, Ihrer Meinung nach – als Experte auf beiden Gebieten?
Christopher Chong: Ich denke, dass sie die gleiche Sprache sprechen: Noten, Kompositionen und Dynamik. Sie sind fast wie spirituelle Geschwister.
Essenza Nobile: Sie sind in Hong Kong geboren, in New York aufgewachsen, haben in London studiert und arbeiten nun für ein Parfumhaus mit Ursprung im Oman. Würden Sie sich selbst als Kosmopolit bezeichnen?
Christopher Chong: Ich würde mich nicht als Kosmopolit bezeichnen, da dieser Begriff eher historischer und geopolitischer Natur ist. Ich bin ein Mensch, der einfach schätzt, was er sieht und erlebt.

Das Allerheiligste: Einblick in die AMOUAGE-Fabrik
Essenza Nobile: Sind die Düfte von Amouage kosmopolitisch? Zum einen sind Amouage-Parfums von einem faszinierenden orientalischen Flair umgeben (in Bezug auf das Design sowie auf bestimmte Inhaltsstoffe). Zum anderen haben Sie mehrfach betont, dass Amouage-Düfte nicht “arabisch” sind…was sind sie also Ihrer Meinung nach? Wie viel Oman, wie viel Arabien steckt in ihnen…und vor allem: wie viel Christopher Chong?
Christopher Chong: Amouage-Düfte sprechen weltweit alle Kulturen an. Damit hebt sich Amouage deutlich von anderen Parfums ab. Was sind schon „arabische“ Parfums? Nennt man sie „arabisch“, nur weil sie stark sind? Sicherlich verwende ich Inhaltsstoffe, die in dieser Region populär sind, wie zum Beispiel harzige Noten. Die gleichen Inhaltsstoffe können aber auch anderswo beliebt sein, sagen wir in Taiwan oder Australien. Sollten wir die Düfte dann als „taiwanesisch“ oder „australisch“ bezeichnen? Aber wenn Sie wirklich wissen wollen, wie viel “Oman” in meinen Düften steckt, dann würde ich lieber die Reisefreudigkeit der arabischen Kultur in den Mittelpunkt stellen. Araber lieben das Reisen und lernen gerne neue Länder und Kulturen kennen. Sie saugen auf, was sie sehen und erleben. Diesen arabischen Aspekt lasse ich in meine Kreationen einfließen.
Was denken Sie, wie viel Christopher Chong in den Düften steckt, wenn ich meine Seele in jede einzelne Kreation einfließen lasse? Wenn Sie unbedingt einen Bezug für die Amouage-Düfte herstellen möchten, dann würde ich sagen, dass Amouage auf die guten alten Zeiten der Parfumerie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zurückgreift. Wenn man sich den Markt heute anschaut, der derart überladen ist von Düften und Parfummarken, die sich selber als nischig oder künstlerisch bezeichnen, so muss ich sagen, dass Amouage französischer ist als die Franzosen selbst. Aber das ist eine sehr einfache Erklärung. Parfum sollte nicht von der Geographie diktiert werden. Ein guter Duft geht mit jeder Kultur und jeder Region einen Dialog ein. Jede Kultur hat ihre eigene Interpretation eines Duftes. Das macht Amouage-Düfte so besonders. Sie sprechen mit dir und gehen mit dir eine Verbindung ein, ob du sie nun magst oder nicht. Es sind keine dummen verklärten Märchen.

Amouage – Fate
Essenza Nobile: Lassen Sie uns abschließend über Ihr jüngstes Meisterwerk „Fate” sprechen. Der Duft wird in Deutschland im Oktober lanciert. Können Sie uns etwas über die Geschichte und das Konzept hinter dem Duft verraten – und warum Sie in „Fate“ genannt haben?
Christopher Chong: „Fate“ (dt. Schicksal) handelt von der Unsicherheit der Zukunft und dem universellen Prinzip, das die Ordnung der Dinge unausweichlich vorherbestimmt. „Fate“ drückt das Ende des ersten Zyklus der Amouage-Geschichte aus und kündigt ein Finale an, das die Kraft des Unvermeidlichen parodiert. „Fate“ hüllt sich in das Mystische des Unbekannten und das Ende der „Fate“-Geschichte bleibt im Dunkeln. Amouage-Düfte waren schon immer unkonventionell und so bestimmt diese letzte Geschichte des ersten Amouage-Kapitels das Schicksal der Charaktere nicht vorher, sondern entlässt sie in die Welt, wo sie ihr Schicksal erwartet.
Essenza Nobile: Die Herznote von „Fate Man“ enthält einen bemerkemswerten Rohstoff: „Copahu-Balsam“ oder „Kopaivabalsam”. Ich muss zugeben, dass ich zuvor noch nie davon gehört habe. Können Sie uns etwas über diesen Inhaltsstoff erzählen?
Christopher Chong: Copahu-Balsam ist das Harz des Copahu-Baumes, der in Südamerika und Westafrika beheimatet ist. Er besitzt ein balsamisches und holziges Aroma, der die holzigen Noten in der Kreation unterstützen soll.
Essenza Nobile: Ihre erste Amouage-Kreation war „Jubilation XXV“, die anlässlich des 25-jährigen Jubiläums der Marke Amouage entwickelt wurde. Jetzt gibt es Amouage bereits seit 30 Jahren. Dürfen wir uns wieder auf ein besonderes Jubiläumsprodukt freuen?
Christopher Chong: Das ist wie mit einem deutschen Liederzyklus. Nächstes Jahr werde ich einen neuen Zyklus kreieren, in den meine Dufterfahrungen aus den letzten Jahren einfließen werden. In meinem neuen Zyklus wird es jedoch mehr um die Reise des Künstlers oder Schöpfers gehen. Vielleicht wird mein neuer Zyklus nachdenklicher. Sie müssen mich das einfach nächstes Jahr nochmal fragen…

Christopher Chong