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„Ich bin ein Wanderer zwischen den Welten...“: Exklusiv-Interview mit Serge Lutens

12.04.2022 13:55

Schon sein Name klingt in manchen unserer Ohren wie ein kleines Gedicht. Seine Parfüms – bezaubernde Poesie, große Lyrik in Düften. Sein Leben – scheinbar schwere-, rast- und grenzenlos. Serge Lutens ist schon zu Lebzeiten so etwas wie eine wandelnde Legende der Parfümeriebranche. Die überbordende Vielfalt und beispiellose Raffinesse seiner Düfte spiegelt nicht nur den außerordentlichen Facettenreichtum seiner Persönlichkeit wider, sondern auch seinen unstillbaren Durst nach neuen Horizonten, seine unbändig sprudelnde Leidenschaft für die Welt, für die Kreation, für das Leben – ja, für sich selbst...

Serge Lutens ist ein Freigeist und Visionär, ein Grenzgänger und Pionier, ein Suchender und Besessener, ein Weltbürger und Düfte-Poet. Ein Mann, der mit seinen (wir dürfen das verraten) 68 Jahren dreist von sich behauptet, „keinen eigentlichen Beruf“ zu haben, ja, noch nicht einmal „Künstler“ zu sein – und doch so viele, so mannigfaltige Professionen und Passionen in sich vereint, dass ein einziges Leben allein kaum auszureichen scheint, um sie alle ausüben, ausleben, auskosten zu können... Kein Wunder, dass er nicht einmal seinen eigenen Geburtstag feiert – er hat schlicht wichtigeres zu tun. Zum Beispiel dem Tod zuvorkommen.

Zumindest so oft und so lange wie möglich. Oder Interviews führen. Zumindest mit uns. Und er enttäuscht uns dabei nicht, gewährt uns großzügig und nonchalant interessante, mitunter überraschende Einblicke in seine Welt; in die Welt eines Mannes, der nie aufgehört hat zu suchen, und der sich dabei immer wieder selbst neu erfindet. Hätten Sie etwa gedacht, dass ausgerechnet die Parfümerie-Koryphäe Serge Lutens so gut wie nie parfümiert aus dem Haus geht? Oder dass seine unerschöpfliche Kreativität vor allem einer Antriebskraft zu verdanken ist, der man das so gar nicht zugetraut hätte – nämlich dem Tod? Aber lesen Sie selbst, was Serge Lutens in unserem Gespräch über die kreative Kraft der irdischen Endlichkeit, über Düfte und Duftkreationen, über seinen Palais Royal in Paris oder seine Wahlheimat Marokko erzählt. Über die „Bibliothek der Sinne“, wie er Marrakesch nennt. Und (natürlich!) über L´Eau Serge Lutens, bekannt geworden als „das Anti-Parfüm“die Duft-Sensation dieses Frühjahrs...

Serge Lutens

Essenza Nobile: Am 14. März hatten Sie Geburtstag – zunächst einmal herzlichen Glückwunsch nachträglich, Monsieur Lutens! Haben Sie schön gefeiert?

Serge Lutens: Ich feiere solche Anlässe nicht. Sie tragen eher zur Beschleunigung meiner Arbeit bei, denn die Zeit ist kostbar. Ich muss sie voll ausnutzen.

Essenza Nobile: An anderer Stelle haben Sie einmal gesagt, dass jedes Ihrer Parfums 66 Jahre alt ist. Nun, jetzt sind Sie 68… aber die Intention Ihrer Aussage bleibt die gleiche, und scheint etwa die zu sein: Jeder ihrer Düfte birgt in sich Eindrücke, die sich im Laufe Ihres gesamten Lebens angesammelt haben, und die irgendwann zu einem Duft gerinnen – ist es so?

Serge Lutens: Durchaus! Echte Erinnerungen und das, woraus sie bestehen, entstehen in der Kindheit. Ich kann keinen genauen Zeitpunkt nennen, aber nach dem 7. Lebensjahr – wenn man «vernünftig» wird – finden wir in uns nur noch alte Bilder und Empfindungen, die in uns diese vergessene Vergangenheit nachklingen lassen. Wir entdecken nichts mehr, wir finden nur noch wieder.

Essenza Nobile: Wenn sich so eine Duftkomposition also schon über Jahre hin förmlich anbahnt - wissen, oder ahnen Sie denn heute schon, was da möglicherweise noch kommt – also: welche Impressionen Ihres Lebens in Zukunft in einem neuen Serge-Lutens-Duft kulminieren werden, oder könnten?

Serge Lutens: Ein Duft ist etwas Organisches, es ist der wichtigste Partner. Ich kann mich dafür entscheiden, das Thema Rose oder etwas Abstrakteres zu bearbeiten, aber ein Duft hat immer ein Eigenleben und führt mich auf ganz überraschende, manchmal erschreckende Wege, manchmal auch auf prachtvolle Straßen. Man weiß nie! Ein Duft ist ein Roman, und Romane können bekanntlich bis ans Äußerste gehen, was Fantasie oder Verbrechen angeht. Serge Lutens

Essenza Nobile: Vor kurzem erschien der lange Zeit mit Spannung erwartete, und vorab als „Anti-Parfüm“ angekündigte neue Duft L´Eau Serge Lutens. Ein Duft, der so explizit Ihren Namen im Namen führt, und dann noch ein „Anti-Parfüm“ - hat er gegenüber ihren anderen Duftkompositionen eine besonders herausragende Stellung?

Serge Lutens: Kreation ist eine Gegenbewegung zur Kontinuität. Sie destabilisiert und das schätze ich an ihr. «L´Eau Serge Lutens» ist ein Bruch… wie jede Kreation. In diesem Duft klingt eine völlig neue, offene Reinheit an, die den Duft eines frisch gewaschenen Kissenbezugs ebenso umfasst wie die Sicherheit eines erholsamen Schlafs.

Essenza Nobile: Warum ein „Anti-Parfüm“? Und warum gerade jetzt? War die Zeit einfach reif dafür? Wo und wann ist Ihnen erstmals die Idee zu L´Eau Serge Lutens in den Sinn gekommen? Oder, anders gefragt: wann wurde Ihnen klar, dass L´Eau Serge Lutens entstehen würde, und welchen Odem dieser Duft atmen würde?

Serge Lutens: Ich habe eine neue Duftkategorie initiiert, die als «orientalisch» bezeichnet wird. Ihre Essenzen sind nah am Duft der Haut und von einer verschobenen Sinnlichkeit. Diese neue Art Düfte zu kreieren war zunächst umstritten und wurde dann unter dem Vorwand des Nischenmarketings imitiert... eine bequeme Art, eine Idee zu übernehmen und sie wie eine Akte abzulegen! L’Eau Serge Lutens ist eine über 13 Jahre alte Idee. Ich habe sie mehrmals fallen gelassen, der Zeitpunkt passte jeweils nicht. Vor drei Jahren habe ich sie schließlich wieder aufgenommen - dann aber, wie immer bei mir, mit echter Besessenheit.

Essenza Nobile: Sie haben einmal mit dem Bekenntnis überrascht, dass Sie sich so gut wie nie parfümieren, vielleicht drei Mal im Jahr – kaum öfter, so sagten sie. Ein Parfum-Designer, der sich so gut wie nie parfümiert – ist das nicht so ähnlich wie… ein Metzger, der zugleich Vegetarier ist?

Serge Lutens: Kann man einen Duft kreieren und tragen? Ist denn ein Fleischer ein Menschenfresser und bin ich selbst überhaupt ein Parfumeur? Wenn ja, was ist ein Duft für mich dann anderes als eine Ausdrucksform für mein momentanes Anliegen, wie ein Buch für einen Schriftsteller?

Essenza Nobile: Wenn Sie sich einmal parfümieren – tragen Sie dann vor allem eigene Düfte auf, oder auch andere? Und welche bevorzugen Sie dann?

Serge Lutens: Ich muss von einem Duft getragen werden, das heißt, er muss meine aktuelle Stimmung an diesem Tag noch weiter verstärken und meine Ausstrahlung unterstreichen. Dann lege ich viel Parfum auf und ziehe die nächsten Tage eine Art Kielwasser hinter mir her. Ich habe allerdings keine festen Gewohnheiten und die Vorstellung, jeden Tag einen Duft zu tragen, reizt mich nicht. Ich würde mich wie eine Altarkerze fühlen.

Essenza Nobile: Gibt es für Sie eigentlich „Damen“- und „Herrendüfte“? Oder ist eine solche strikte Unterscheidung, wie man sie bei vielen anderen Parfumfirmen kennt, im Serge-Lutens-Düfteuniversum schlicht absurd?

Serge Lutens: Finden Sie denn, dass es Musik für Männer und Musik für Frauen gibt? Natürlich ist die Gefühlswelt eines Mannes, wenn es so etwas denn überhaupt gibt, nicht identisch mit der einer Frau, aber jeder hat nun mal seine individuelle Wahrnehmung, und unsere Empfindsamkeit entscheidet, welche Dinge, Geschmacksrichtungen oder Düfte wir auswählen. Dennoch bleibt eine Frau immer eine Frau und ein Mann immer ein Mann.

Essenza Nobile: Manche Ihrer Düfte sind ja ausschließlich in Frankreich und in Ihrer exklusiven Düfte-Boutique Palais Royal in Paris erhältlich – sehr zum Bedauern von Düfteliebhabern in vielen anderen Ländern dieser Welt. Hat das einen bestimmten Grund?

Serge Lutens: Ich wollte vor allem einen Ort für meine Düfte und einen Treffpunkt für Duftliebhaber schaffen, nicht unbedingt ein Geschäft. Mittlerweile ist es sehr bekannt und erfolgreich geworden. Momentan sind diese Düfte noch exklusiv, aber ich möchte das nach und nach ändern, denn die Originalität eines Duftes beruht auf der Persönlichkeit seines Trägers und nicht auf dem Ort, wo man ihn kaufen kann. Das wäre ja elitistisches Marketing, was ich verabscheue!

Essenza Nobile: Seit den 1970er Jahren wohnen Sie in Marokko. Wie und wann haben Sie Ihre Liebe zu diesem Land entdeckt? Was macht für Sie den besonderen Reiz des Lebens in Marokko aus?

Serge Lutens: Ich bin durch Schicksal oder Zufall dorthin gelangt. Es hat mir gefallen, ich bin geblieben. Ich habe dort ein Haus gekauft. Ich mag alles dort. Die Menschen, die geistige und physische Unabhängigkeit, die das Land mir bietet, und die viele Zeit, die ja die eigentliche Grundlage für Kreativität ist. Ich lebe in meinem eigenen Haus, das vielleicht nicht das echte Marokko ist. Ich bin umgeben von Marokkanern, die mit mir arbeiten...

Essenza Nobile: ...und als was sehen Sie sich selbst – als Marokkaner mit französischen Wurzeln, … als Franzose mit marokkanischer Wahlheimat… oder vielmehr als Kosmopolit, als Weltbürger?

Serge Lutens: Ich fühle mich nicht wirklich als Franzose. Ich bin irgendwie staatenlos und in dieser Hinsicht sicher auch Kommunist.

Essenza Nobile: Ihre marokkanische Wahlheimatstadt Marrakesch haben Sie einmal als „Bibliothek der Düfte“ bezeichnet. Welche Düfte, welche Duftimpressionen prägen die Stadt, in der sie leben, besonders?

Serge Lutens: Marrakesch ist eher eine Bibliothek der Sinne. Diese Stadt zeichnet sich durch ihr ganz eigenes Licht aus, seine allgegenwärtige Sinnlichkeit und den einzigartigen Rahmen, den der verschneite Atlas, die Palmen und der Staub der Jahrhunderte bilden. Ein Wunder oder, wenn Sie so wollen, eine Illusion - aber für mich schon lange nicht mehr.

Essenza Nobile: Sie sind bekannt als Fotograf, Filmemacher, Mode- und Duft-Designer - sehen Sie sich als Universalkünstler?

Serge Lutens: So sehe ich mich nicht. Ich entwickle mich immer weiter. Es gibt verschiedene Optionen, die ich genutzt habe, wie man leere Felder besetzt. Ich schreibe sozusagen mein Leben. Ich bin weder universell noch Künstler. Davon gibt es zu viele, zu dieser Gruppe muss ich nicht auch noch gehören. Ich tue Dinge, und der Wettlauf mit dem Tod oder gegen den Tod ist mein wichtigster Antrieb.

Essenza Nobile: Wenn Leute Sie erkennen, was sagen sie dann üblicherweise: „Oh, das ist Serge Lutens, der“ …Fotograf? …Filmemacher? ...Parfum-Designer? Als was werden Sie am stärksten wahrgenommen, in welcher Ihrer künstlerischen Eigenschaften sind Sie heute den Menschen im Allgemeinen am besten bekannt? Oder ist das ganz unterschiedlich?

Serge Lutens: Ich habe keinen eigentlichen Beruf. Ich bin Wanderer zwischen den Welten oder ein sehr beschäftiger Arbeitsloser. Da kann man verschiedene Etiketten aufkleben. Aber ich immer nur das, womit ich mich gerade beschäftige.

Serge Lutens

Essenza Nobile: Können Sie uns schon sagen, was Ihr nächstes Projekt sein wird – mit welchen Facetten Ihrer selbst Sie die Menschheit als nächstes überraschen werden?

Serge Lutens: Meine Projekte entstehen ohne mein Zutun. Ich springe nur auf. Ich lese viel und ich liebe Filme. Vielleicht münden diese beiden Leidenschaften eines Tages in neue Projekte...

Essenza Nobile: Monsieur Lutens, wir danken Ihnen ganz herzlich, dass Sie sich Zeit für unser Interview genommen haben – und harren gespannt der Dinge, die da noch kommen mögen!


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