Stellen Sie sich vor, Sie gehen durch die Stadt und tragen dabei einen Ihrer Lieblingsdüfte – sagen wir einmal: Ein Parfum von Comme des Garçons. Linari. Versace. Cartier. Oder Van Cleef & Arpels.
Auf der Straße spricht Sie plötzlich ein Mann darauf an. Schnuppert an Ihnen. Gratuliert Ihnen mit anerkennendem Blick zu Ihrem erlesenen Parfumgeschmack. Und behauptet schließlich noch in einem beiläufigen Nebensatz, der Parfümeur zu sein, der genau diesen Duft kreiert hat!
Glauben Sie nicht? Schwätzer? Hochstapler? Plumpe Anmache? – Gut möglich.
Es könnte aber auch ganz anders sein. Schauen Sie noch mal genau hin: Ist es vielleicht... Mark Buxton?
Essenza Nobile: Herr Buxton, das Parfum-Archiv parfumo.de weist Sie derzeit als Autor von sage und schreibe 90 Düften aus. Können Sie diese schwindelerregende Zahl bestätigen – oder haben Sie irgendwann aufgehört, Ihre Parfumschöpfungen zu zählen?
Mark Buxton: Die Zahl stimmt so ungefähr, obwohl es mittlerweile bereits um die 170 Kreationen sein müssten, die irgendwann einmal auf dem Markt erschienen sind. Ich zähle schon lange nicht mehr.
Essenza Nobile: Wann in Ihrem Leben haben Sie zum ersten Mal festgestellt, dass Ihre Nase über besondere Fähigkeiten verfügt?
Mark Buxton: Als ich mich im Alter von 21 Jahren auf die Wetten dass-Wette vorbereitet habe. Da ist mir aufgefallen, dass ich mir die Düfte sehr schnell und einfach merken konnte.
Essenza Nobile: Ist Ihre Nase eigentlich versichert? So wie die Stimme von Bruce Springsteen oder die Finger von Star-Friseur Udo Walz?
Mark Buxton: Nein, meine Nase ist nicht versichert. Ich glaube tatsächlich, dass das möglich wäre, aber eine solche Versicherung hat dann natürlich auch ihren Preis.
Essenza Nobile: Sie haben es zuvor ja bereits angesprochen: Ihre Karriere ist, ungewöhnlich genug, untrennbar mit der Fernsehshow „Wetten, dass…?“ verbunden. Dort traten Sie, damals noch als Student der Geologie, zusammen mit einem Freund mit einer Parfum-Wette an. Ich stelle jetzt mal die klassische Thomas-Gottschalk-Frage an Wettkandidaten: „Wie kamen Sie auf diese verrückte Idee“?
Mark Buxton: Das war mehr oder weniger per Zufall. Mein Freund Jui sagte eines Tages: „Komm, lass uns mal in die Parfümerie gehen, die Neuheiten anriechen“ – so entstand dann die Idee mit der Wette. Ziemlich gewagt, um ehrlich zu sein, denn wir kannten damals jeder etwa nur drei Parfums…
Essenza Nobile: Und jetzt wird es richtig kurios: Sie haben die Wette verloren, erreichten zwar das Finale, erkannten dann aber kein einziges Parfum richtig. Dennoch wurde die Parfumindustrie auf Sie aufmerksam: Nach der Sendung klingelte bei Ihnen das Telefon – und es meldete sich die Firma Haarmann & Reimer, heutzutage bekannt als der große Aromen- und Düfte-Hersteller Symrise. Es ging um nicht weniger als um eine Ausbildung zum Parfümeur in Holzminden. Der Verlierer der Parfum-Wette bekommt einen Ausbildungsplatz als Parfümeur - wie ist dieser scheinbare Widerspruch zu erklären?
MARK BUXTON
„Das mag krass klingen, aber aus meiner Sicht erfahren Kreativität und künstlerische Freiheit in der Industrie keine Wertschätzung mehr.“
Mark Buxton: Das haben Sie nicht ganz richtig in Erinnerung: Ich habe meine Düfte sehr wohl erkannt, aber Jui hatte nicht einen einzigen Treffer – er hatte die Damen- und ich die Herrennoten. Da wir aber die Wette zusammen gewinnen mussten, ging die Wette verloren.
Essenza Nobile: Und wie ging es dann weiter? Das Studium mit Freuden an den Nagel gehängt – und mit einem lauten Hurra-Schrei ab auf die Parfümeur-Schule?
Mark Buxton: Genau so war es, mein Studium der Geowissenschaften war ohnehin nur eine „Notlösung“, während ich auf einen Studienplatz in Modedesign wartete. Ich hatte dann plötzlich zeitgleich ein Angebot, fürs Fernsehen zu arbeiten, Modedesign zu studieren oder die Parfümerieschule zu besuchen – da habe ich mich für die Duftwelt entschieden. Ich spürte, dass ich da ein besonderes Talent hatte. Im Nachhinein die richtige Entscheidung, denke ich.
Essenza Nobile: Man weiß ja allgemein recht wenig darüber, was in einer Parfümerieschule so passiert. Wie kann man sich den Schulalltag an so einer Schule vorstellen?
Mark Buxton: Die Ausbildung zum Junior-Parfümeur dauert drei Jahre. In den ersten zwei Jahren muss man ca. 2.000 Rohstoffe auswendig lernen, dann studiert man die Kunst der Akkorde und lernt, wie man z.B. eine Rose, Jasmin oder Tuberose nachbaut. Im dritten Jahr geht es dann darum, die großen Klassiker zu imitieren wie Chanel 5 oder Shalimar, um ein Gefühl für die unterschiedlichen Strukturen eines Parfums zu bekommen und zu verstehen, was Klassifizierungen wie Chypre, Fougere oder orientalisch bedeuten.
Essenza Nobile: Und die Leute, die da unterrichtet werden? Ein verschworener Zirkel von Menschen, die in dem elitären Bewusstsein leben, dass ihre Nase zu Höherem berufen ist? Oder geht es da ganz bodenständig zu?
Mark Buxton: Ach, das ist tatsächlich alles ganz bodenständig; da wird zwar fleißig gelernt, aber nebenbei auch sehr viel Blödsinn gemacht. Parfümeure und auch Parfümeursschüler sind irgendwie Verrückte, Menschen mit einer großen Sensibilität – und sehr viel Kreativität.
Essenza Nobile: Nachdem Sie ein Vierteljahrhundert lang für die Parfumindustrie gearbeitet haben, machten Sie sich vor einigen Jahren selbstständig, gründeten Ihr eigenes Label Mark Buxton Perfumes. Ein Akt der Befreiung einer von Auftragsarbeiten gefesselten Künstlerseele?
Mark Buxton: Genau das. 25 Jahre in der Parfumindustrie waren genug, ich habe alles erreicht, was ich mir vorgenommen hatte. Ich wollte mich nicht mehr auf Briefings und Marketingvorgaben konzentrieren, sondern endlich jenseits des Mainstreams wirklich kreativ und für die Nische arbeiten. Meine heutigen Strukturen sind klein und überschaubar, meine Freiheit und Kreativität umso größer: Ich bin mein eigener Boss, meine Kreationen sind keinen politischen Entscheidungen mehr unterworfen und müssen sich nicht mehr „anbiedern“. Das mag krass klingen, aber aus meiner Sicht erfahren Kreativität und künstlerische Freiheit in der Industrie keine Wertschätzung mehr.
Essenza Nobile: Von dieser Art von Werdegang (also dass sich ein Parfümeur erst bei den großen Parfumfirmen ein Renommee erarbeitet, um dann schließlich eigene Düfte unter eigenem Namen zu kreieren) hört man ja immer mal wieder. Ist das so eine Art Ur-Sehnsucht eines jeden Parfümeurs – eines Tages endlich frei nach eigener Fasson und unabhängig von den Vorgaben eines Auftraggebers Düfte kreieren zu können?
MARK BUXTON
„Ich wollte der Welt meine ‚echte‘ Arbeit zeigen und nur noch Dinge tun, hinter denen ich stehen kann.“
Mark Buxton: Viele Parfümeure träumen davon, wagen aber den Schritt nicht. Schließlich zahlt die Industrie gut und man hat einen sicheren Job. Ich musste diesen Schritt machen, ich wollte meine „echte“ Arbeit der Welt zeigen und nur noch Dinge tun, hinter denen ich stehen kann. Aber das erfordert auch Mut.
Essenza Nobile: Wie viel kreative Freiheit hatten Sie bei Ihren Arbeiten für Comme des Garçons, Givenchy, Linari & Co.?
Mark Buxton: Das ist sehr unterschiedlich. Bei Comme des Garçons und Linari ist die künstlerische Freiheit sehr groß, die Briefings sind sehr abstrakt und lassen dem Parfümeur viel Raum für eigene Ideen. Bei Givenchy, Lagerfeld, Paco Rabanne etc. gibt es schon engere Vorgaben und klare Richtlinien, da steht vor der Kreation bereits fest, wo es hingehen soll.
Essenza Nobile: Wie wichtig ist dieser Aspekt der kreativen Freiheit für Sie?
Mark Buxton: Ich bin der Meinung, dass man sich erst einmal einen Namen machen muss in der Industrie, von der Pike auf lernen und verstehen muss, wie alles funktioniert – und dann kann man den Schritt in die Selbständigkeit machen. Freiheit ist inzwischen für mich unbezahlbar geworden, mein berufliches Schaffen ist Kreativität pur!
Essenza Nobile: Und welche Bedeutung hat es für Sie als Parfümeur, der ja jahrelang immer ein wenig im Schatten seiner weltbekannten Kreationen stand, dass da nun in großen Lettern der eigene Name auf den Parfumflakons steht?
Mark Buxton: Darauf ist man schon stolz. Es steckt viel Arbeit darin, aber ich habe das gute Gefühl, etwas zu hinterlassen, worauf meine Familie und Freunde vielleicht stolz sein können.
Essenza Nobile: Die Namen der Marken, für die Sie schon Düfte komponiert haben, liest sich wie ein Who-is-Who der Parfumindustrie: Paco Rabanne, Salvador Dali, Comme des Garçons, Versace, Cartier, Givenchy, Linari, Burberry… um nur mal einige wenige zu nennen (lacht). Haben Sie zahlenmäßig eine ungefähre Vorstellung davon, wie viele Menschen auf der Welt von Ihnen kreierte Parfums tragen? Mit denen könnte man doch bestimmt locker einen eigenen Staat gründen…
Mark Buxton: (lacht) Das mag sein, ich habe aber keine Ahnung, wie viele es sind. Ich freue mich immer wieder, wenn Menschen den direkten Kontakt zu mir suchen und mir schreiben, dass sie meine Kreationen mögen. Ich nehme mir immer die Zeit, darauf zu antworten.
Essenza Nobile: Wie oft kommt es vor, dass Sie auf der Straße einen Ihrer Düfte riechen?
Mark Buxton: Das passiert hin und wieder. Am Anfang meiner Karriere habe ich die Menschen manchmal darauf angesprochen – das habe ich aber aufgegeben, die meisten glauben dann sowieso nicht, dass ich der Parfümeur bin.
Essenza Nobile: Welche Ihrer bisherigen Parfumschöpfungen halten Sie persönlich für Ihren größten Wurf?
Mark Buxton: Comme des Garçon 3 – das ist ein echter Buxton!
Essenza Nobile: Und haben Sie auch schon mal ein Parfum komponiert, für das Sie sich heute schämen?
Mark Buxton: Nicht wirklich schämen. Aber es gibt da schon einige, über die ich lieber nicht spreche... :-) Egal, ist alles Schnee von gestern.
Essenza Nobile: Sleeping with ghosts, Sexual Healing, Black Angel, Emotional Rescue, Devil in Disguise: Die Namen der Düfte Ihrer Mark-Buxton-Parfumkollektion erinnern – sicher nicht von ungefähr – auffällig an bekannte Pop- und Rocksongs. Ist das das Coming-Out eines passionierten Popmusik-Maniacs? Eine Reminiszenz an Ihre ganz persönlichen Helden?
MARK BUXTON
„Meine heutigen Strukturen sind klein und überschaubar, meine Freiheit und Kreativität umso größer.“
Mark Buxton: Oh ja, ich wäre wirklich gerne Rockstar geworden… wer weiß, im nächsten Leben vielleicht.
Aber im Ernst, mich inspiriert Musik und ich finde, diese Namen passen einfach gut zu meinen Düften. Schließlich steckt hinter jeder Kreation ja auch immer eine Story.
Essenza Nobile: Ich verrate sicherlich nicht zu viel, wenn ich sage, dass Sie in diesen Tagen dabei sind, ein ganz neues Parfum fertigzustellen. Verraten Sie uns zum Schluss dieses Interviews ein paar intime Details darüber, die eigentlich noch gar nicht ans Licht der Öffentlichkeit gelangen sollten?
Mark Buxton: Demnächst kommt mein siebter Duft auf den Markt, er heißt „Message in a bottle“ – da haben wir sie wieder, meine Affinität zur Musik. Einen passenderen Namen kann es für einen Duft doch auch kaum geben, oder?
Nur so viel sei verraten: Vor vielen Jahren war ich mit meiner Freundin auf einer ganz kleinen Insel der Malediven. Es war sehr heiß, die Insel war voll von tropischen Blumen, das Wasser war kristallklar und die Insel roch wie ein Paradies… Das habe ich versucht festzuhalten, der Duft der Insel „in a bottle“, ein Traum aus Magnolie, Neroli, Orange concrete, Rose, Jasmin, Sambac, Ylang Ylang und Amber gris… Lassen Sie sich überraschen!
Essenza Nobile: Herr Buxton, vielen herzlichen Dank für dieses Interview!
Mark Buxton: Es war mir ein Vergnügen!
Unser Interview mit Mark Buxton führte Erik Vogel im September 2014.