Andy Tauer hat nie eine Parfümerieschule besucht. Doch was der Schweizer Duft-Tüftler in seinem Heimlabor in Zürich zusammenmischt, begeistert sogar Parfumkritiker mit notorisch hochempfindlicher Nase …
Egal ob Theater, Literatur, Film oder Parfum: Wo Kunst passiert, gibt es auch Kritiker, die ihr täglich Brot damit verdienen, das von den Künstlern und Kreativen dieser Welt Erschaffene einzuordnen, zu beurteilen und nach professionellen Maßstäben zu bewerten. Und so ist ungefähr das, was ein Marcel Reich-Ranicki für die Literatur-Szene war, oder der Guide Michelin für den Feinschmecker von nebenan ist, ein gewisser Luca Turin für die Welt der Parfümerie.
Eben jener wohl bekannteste und profilierteste Parfum-Kritiker der Gegenwart hat sich für seinen Parfum-Wegweiser „Perfums: The Guide“ sage und schreibe rund 1.500 Parfums unter die Nase gehalten und sie nach ausgiebigem Durchschnuppern auf einer Skala von 1 bis 5 Sternen bewertet. Wobei „1“ einen olfaktorischen Super-GAU beschreibt und „5“ … nun ja, eben das genaue Gegenteil: einen besonders edlen und erlesenen Tropfen reinsten Parfum-Ambrosias aus dem Siebten Düfte-Himmel…
Natürlich ist all das letztlich auch „nur“ das subjektive Wert- oder Unwerturteil einer Einzelperson, deren Nase ebenso „fehlbar“ ist wie der Gaumen eines Restaurantkritikers; doch fünf Sterne von einem notorischen Parfum-Connaisseur und renommierten Duft-Experten wie Luca Turin kommen jedenfalls für einen Parfümeur, der ein solches feines Duftwässerchen zusammengebraut hat, zweifelsohne einem wohltuenden warmen Regen, um nicht zu sagen: einem Ritterschlag gleich…
Genau an dieser Stelle kommt nun die eigentliche Hauptfigur dieses Beitrages ins Spiel: Andy Tauer (…es wird auch langsam Zeit, ihn mal einzuführen – wir schreiben immerhin schon den vierten Absatz dieses Artikels!). Der nämlich hat es gleich mit einer seiner allerersten Parfum-Schöpfungen geschafft, das Herz und die ebenso feine wie kritische Nase von Luca Turin gleichsam im Sturm zu erobern: Fünf Sterne gab es in Turins Bibel des guten Parfumgeschmacks für Andy Tauers L’air du désert Marocain!

Eroberte die Nase des Parfumkritikers Luca Turin im Sturm: Andy Tauers Nummer 2, L’air du désert marocain
Wem gleich bei einem seiner Debut-Werke solche Ehren und quasi die höchsten Weihen der Parfumkritik zu Teil werden, dürfte das Parfümeur-Handwerk wohl jahrelang und von der Pike auf gelernt haben. So sollte man meinen. Doch bei Andy Tauer ist so manches ein bisschen anders. Der Mann hat nämlich weder je eine der wenigen, prestigereichen Parfümerieschulen besucht noch hängt bei ihm zuhause ein Zertifikat an der Wand, das ihn – mit Brief, Stempel und Siegel – als ausgebildeten Parfümeur ausweist. Rein formell und auf dem Papier könnte Andy Tauer also wohl noch nicht einmal nachweisen, ein Parfümeur zu sein. Muss er aber auch gar nicht. Er ist es einfach!
Und verkörpert damit einen Typus von Parfümeur, wie er einem gerade im Nischenduft-Bereich in letzter Zeit häufiger über den Weg läuft: den „Selfmade-Parfümeur“. Ein klassischer Quereinsteiger und Autodidakt, der sich durch neugieriges Tüfteln und Ausprobieren die Grundlagen des Metiers selbst bei- und nahebringt, und dabei den „Mangel“ an formeller Ausbildung durch eine hochexplosive Mischung aus Herzblut, Naturtalent, tiefgründigem Interesse an der Materie und vor allem brennender Leidenschaft wettmacht. Man kann sich diese Parfümeur-Spezies vielleicht etwa so vorstellen wie einen Jimi Hendrix in der Welt der Musik: Der konnte bekanntlich noch nicht einmal Noten lesen – was ihn aber keineswegs daran hinderte, zu einer Jahrhundert-Legende der Rockmusik zu werden.
Nicht immer, aber manchmal sind es eben gerade auch diejenigen, die die ausgetretenen Pfade klassischer Ausbildungswege und überkommener Lehrmeinungen verlassen und sich auf eigene Faust auf eine abenteuerliche Expedition durch die verschiedenen Dschungel dieses Lebens begeben, die echtes Neuland entdecken. Oder verborgene Schätze. Oder versunkene Städte. Oder, wie es einst ein Landsmann von Andy Tauer, der Schweizer Schriftsteller und Theologe Kurt Marti, mit treffendem Wortwitz formulierte: „Wo kämen wir hin / wenn alle sagten: / ‚Wo kämen wir hin?‘ / Und niemand ginge / um einmal zu schauen / wohin man käme / wenn man ginge?“
Andy Tauer ist so einer. Einer, der hingeht – und es einfach mal versucht und ausprobiert. Von sich selbst sagt der 1964 geborene Herzblut-Parfümeur:
„Ich habe nie die Kunst der Parfumherstellung an einer Schule studiert. Ich kenne keine Kompromisse, wenn es um Parfums geht. (…) Ich arbeite absolut autodidaktisch, (…) bin zu 100 Prozent unabhängig und folge meinem Geschmack und Instinkt. Ich betrachte Parfümerie als ein Kunsthandwerk, und ich möchte mit dem verbunden bleiben, was ich kreiere“.

„Verbunden bleiben“ : Blick in Andy Tauers Web-Tagebuch
„Verbunden bleiben“ mit der eigenen Kreation und dem, wie sie wirkt, was sie bewirkt – betont bodenständig und geerdet geht es also zur Sache bei Andy Tauer. Der Parfümeur steht hier nicht irgendwo weit entrückt über seinem Werk, sondern sucht regelrecht die Nähe zu seinem Publikum. Das drückt sich nicht zuletzt in zwei Besonderheiten aus, die Andy Tauer von nicht wenigen seiner klassischen Berufskollegen unterscheidet: Der Schweizer Parfum-Komponist ist a) ausgesprochen internetaffin und b) bei seiner Arbeit so transparent wie eine Klarsichthülle. So betreibt er seit 2009 eine Internet-Plattform zum Thema „Perfumism“ und schreibt außerdem einen eigenen Blog, in dem er regelmäßig über seine Arbeit berichtet; sein Schaffen findet somit ganz bewusst unter den Augen einer großen, duftinteressierten Internet-Öffentlichkeit statt und tritt auf diesem Wege in dauernden Austausch und Kommunikation mit jenen Menschen, für die die Parfums letztlich gemacht werden: Duft-Aficionados aus aller Welt.
Während andere Parfümeure oft in stiller Heimlichkeit und Weltabgeschiedenheit vor sich hin werkeln und dann irgendwann der nichts ahnenden Menschheit ein neues Parfum präsentieren, kann man bei Andy Tauer die Arbeitsschritte, seine Gedanken hierzu oder auch Probleme hierbei quasi in Echtzeit mitverfolgen, teilen – und natürlich auch kommentieren. „Über die Schultern schauen“ ist bei Andy Tauer ausdrücklich erwünscht, wenn er – wie er selbst sagt – „mit seiner eigenen Hände und Nase Arbeit Geld verdient“.
Andy Tauer ist damit das derzeit vielleicht markanteste Beispiel dafür, dass auch das altehrwürdige Handwerk der Parfumherstellung mittlerweile im digitalen Zeitalter angekommen ist. Dabei sind die Düfte selbst freilich so analog wie eh und je – einige seiner erklärten Lieblings-Ingredienzien: Jasmin („es ist wie ein Zaubertrank“), Bergamotte, Zedernholz, Cistus, Koriander, Orangenblüten, Eichenmoos und Ambroxan („unglaublich vielschichtig und von einer ungeheuren Strahlkraft“). Und, nicht zu vergessen: Lindenblüten, mit denen Andy Tauer eine lebenslange Liebe verbindet…

„Lebenslange Liebe“: Lindenblüten stehen bei Andy Tauer ganz oben auf der olfaktorischen Speisekarte
Mit seinen Parfum-Kompositionen balanciert Andy Tauer gekonnt zwischen den Extremen, zwischen natürlichen Rohstoffen und synthetischen Duftnoten, klassischer europäischer Parfümerie und einer modernen künstlerischen Sensibilität mit viel Experimentierfreude. Und gerne auch mal mit einem gehörigen Schuss Minimalismus, wie etwa bei seiner Parfumserie „Pentachords“, in der – der Name deutet es schon vorsichtig an – pro Parfum jeweils nur fünf verschiedene, rein synthetische Duftessenzen zum Einsatz kommen. Typisch für Andy Tauer sind außerdem auch spannende, Kunstformen-übergreifende Projekte; so wurden von ihm beispielsweise drei Frauenfiguren aus einem Film des Filmemachers Brian Pera olfaktorisch portraitiert („Tableau de Parfums“).
Die Geschichte von Tauer Perfumes begann schon vor gut einem Jahrzehnt mit einem Urlaub Andy Tauers in Kenia; ein Buch über Naturparfümerie in den Händen und den köstlichen Duft von Frangipani-Blüten in der Nase, war die Idee geboren: Der studierte und promovierte Chemiker entschloss sich, tief in die Welt der Düfte einzutauchen und sie mit eigenen Parfumkreationen zu bereichern. 2005 kreierte er sein erstes für eine breitere Öffentlichkeit bestimmtes Parfum Le Maroc pour Elle im Auftrag von „Medieval Art & Vie“, dem Buchladen eines Freundes in Zürich, der nach wie vor so etwas wie das Epizentrum des Tauer-Universums in der Schweiz darstellt.
Aus dieser Anfangszeit von Tauer Perfumes stammt auch das eingangs bereits erwähnte Eau de Toilette L’air du désert marocain, das von Parfumkritiker Luca Turin als Meisterwerk ausgezeichnet wurde. Jenes olfaktorische Portrait einer marokkanischen Sahara-Wüstennacht mit seinen delikaten, warmen Noten von Kreuzkümmel, Koriander, Petitgrain, Zistrose, Jasmin, Zeder, Vetiver und Ambra ist bis heute das Flaggschiff unter den Tauer-Parfums und markierte zugleich den Durchbruch auf dem Parkett der internationalen Nischenparfum-Szene.

„Epizentrum des Tauer-Universums“: Zürich
Neue Parfum-Hits folgten ebenso wie weitere, prestigeträchtige Auszeichnungen; 2011 etwa, als Andy Tauers Zitrus-Hymne Orange Star den als „Branchen-Oscar“ geltenden FiFi Award der britischen Fragrance Foundation in der Kategorie Nischenparfümerie gewann. Mit der ledrig-holzigen Einzelgänger-Ballade Lonestar Memories (2006), den Weihrauch-Variationen Incense Rosé und Incense Extrême (2008), dem Gourmand-Rosenduft PHI - Une Rose de Kandahar oder der aktuellen, mit prickelnden Aldehyd-Akzenten umsäumten Blütenmelange Noontide Petals (2013) setzte Andy Tauer weitere duftende Meilensteine auf dem Weg nach… – ja, wohin eigentlich?
Lässt man das bisherige parfümistische Lebenswerk Andy Tauers Revue passieren, kann jedenfalls kein Zweifel daran bestehen, dass der Weg ziemlich eindeutig nach oben geht. Und gleichzeitig besteht doch begründeter Anlass zu der Annahme, dass Andy Tauer beim Erklimmen neuer Gipfel (als Schweizer ist er darin ja geübt) auch in Zukunft nicht die Leichtigkeit des Schritts und die Bodenhaftung verlieren wird. Denn ein bisschen auf dem Teppich bleiben bringt durchaus veritable Vorteile mit sich, wie Andy Tauer weiß: „Es ist ein Privileg, kleiner zu sein. Ich kann Dinge tun, die Chanel nicht tun kann“.
Man ahnt es schon: Von diesem Mann wird man noch einiges hören. Und riechen…