Isabelle Doyen und Camille Goutal – © Antoine de Parseval

Gerade einmal zwei Wochen ist es her, dass in Deutschlands Edel-Parfümerien „Le Mimosa“, der neueste Duft aus dem Hause Annick Goutal, feierlich Einzug hielt. Für mich ein willkommener aktueller Anlass, um ein bereits seit längerer Zeit gehegtes Interview-Vorhaben endlich zu realisieren: Spätestens seit dem Erscheinen von Ninfeo mio stehen die beiden kreativen Köpfe des Hauses Annick Goutal, Isabelle Doyen und Camille Goutal, ganz oben auf meiner meterlangen „Interview-Wunschliste“… Isabelle Doyen, Annick Goutals langjährige Hausparfumeurin, und Camille Goutal, die Tochter der legendären, 1999 verstorbenen Firmengründerin, sind ein derart gut eingespieltes Team und geradezu untrennbar wirkendes Gespann, dass es mir nachgerade unmöglich erschien, nur mit einer der beiden Damen ein Interview zu führen. Was lag also näher, als ein Rendezvous zu dritt zu arrangieren? Gedacht, getan… kurzerhand verabredete ich mich also Anfang März mit beiden – und schon wenige Tage später fand ich mich wieder in einem Gespräch mit zwei ausgesprochen sympathischen, lebensfrohen und gut aufgelegten Ikonen der modernen, noblen Parfümeriewelt Frankreichs…

Essenza Nobile: Bonjour, Camille und Isabelle! Heute wollen wir ein wenig über Ihre brandaktuelle Duftkreation „Le Mimosa“ sprechen. Wann und wie ist die Idee zu „Le Mimosa“ eigentlich entstanden?

Isabelle Doyen: Nun, wir begannen ungefähr vor 1 ½ Jahren, daran zu arbeiten – aber zusammen mit Camilles Mutter Annick habe ich mich bereits vor langer, langer Zeit mit der Mimose beschäftigt, da wir diese Blume liebten! Wir hatten damals bereits so einige Ideen, aber diese waren seinerzeit noch sehr im Anfangsstadium… doch dann – mit Camille, vor 1 ½ Jahren – beschlossen wir, die Arbeit daran fortzusetzen, um die Idee von Le Mimosa zu vollenden.

Essenza Nobile: Im Deutschen steht der Name der Mimose auch symbolisch für eine besondere Empfindlichkeit, Sensibilität, Zerbrechlichkeit. Was ist für Sie das Spezielle, das Einzigartige an der Mimose, so dass Sie ihr ein eigenes Parfum gewidmet haben?

Isabelle Doyen: Wir mochten sehr diese Art, wie sie aussieht… sie ist so ein wenig „Pompon“-artig, sehr lustig, zugleich sehr weich, trägt eine Idee von Zartheit, und eine Idee von Glücklichsein in sich… sie kommt im Frühjahr heraus mit den ersten sonnigen Tagen, daher ist sie für uns auch ein Symbol für Glück und Frohsinn. Wir mochten diese Idee, und diesen Kontrast von gelber Farbe und blauem Himmel im Hintergrund…

Essenza Nobile: Es gab in der Parfumgeschichte ja schon mehrere Düfte, die die Mimose in den Focus rückten und im Namen führten – erinnert sei etwa an Czech & Speakes „Mimosa“, „Mimosa pour moi“ von L’Artisan Parfumeur, Givenchys „Amarige Mimosa“ oder „Mimosaique“ von Parfums de Nicolai. Wodurch zeichnet sich „Le Mimosa“ besonders aus, wie würden Sie den Duft aus Ihrer ganz persönlichen Sicht und Wahrnehmung beschreiben?

Isabelle Doyen: Also, von den anderen Mimosen-Düften, die Sie genannt haben, kenne ich nur „Mimosa pour moi“, da ich die Dame kenne, die diesen Duft kreiert hat. Die anderen Düfte habe ich noch nicht gerochen, ich weiß nun also nicht, wie Givenchys oder Nicolais Mimosen-Duft riecht… Ich kann jedoch sagen, dass ich die traditionelle Art kenne, wie Mimose üblicherweise im Parfümeriewesen interpretiert wird, aber das wollten wir so nicht, da wir es als ein wenig altmodisch betrachten… und als ein bisschen zu pudrig, aber die Art von pudrig, die wir nicht so wirklich mögen – daher entschieden wir uns dafür, die Mimose mehr mit fruchtigen und grünen Noten in Szene zu setzen. Nun, „Le Mimosa“ konzentriert sich auf die fruchtigen Anteile der Mimosenblume; wenn man den Duft riecht, ist es wie ein Regenbogen zwischen grünen und fruchtigen, Melonen- und Pfirsich-Noten…

Essenza Nobile: Von „Le Mimosa“ einmal abgesehen – haben Sie einen Lieblings-Mimosenduft?

Isabelle Doyen: Nein, ich kenne keine anderen – außer eben „Mimosa pour moi“ von L´artisan Parfumeur… nun, das ist so nicht die Art, wie ich die Mimose interpretieren würde, doch ich kenne die Frau, die diesen Duft gemacht hat, also mag ich ihn, da ich ihre Arbeit mag. Aber das ist alles, ich kenne keinen anderen Mimosen-Duft… na, außer dem eines Mimosenstraußes (lacht).

Essenza Nobile: Annick-Goutal-Düfte sind besonders dafür bekannt, dass sich viele von ihnen untereinander gut „layern“ lassen, also zwei Düfte gemeinsam und übereinander getragen werden können. Welche der bisherigen Annick-Goutal-Düfte passen Ihrer Meinung nach gut zu „Le Mimosa“?

Isabelle Doyen: Nun, wahrscheinlich der Duft „Eau de Charlotte“…

Essenza Nobile: … der ebenfalls Mimose in der Herznote enthält…

Isabelle Doyen: …ja, richtig. Und „Vanille Exquise“… ich denke, es ist interessant, diese beiden Düfte mit „Le Mimosa“ zu kombinieren.

Annick Goutal – Eau de Charlotte, Vanille Exquise

 
Camille Goutal - © Antoine de Parseval

Camille Goutal – © Antoine de Parseval

Essenza Nobile: Camille, Sie kommen ursprünglich aus dem Bereich Fotografie, haben für Magazine wie „Elle Decoration“, „Marie-Claire Maison“, die „Vogue“ oder bei Pret-à-Porter-Shows in Paris gearbeitet. Wie eingebunden waren Sie vor dem Tod Ihrer Mutter in das Unternehmen Annick Goutal und in die Parfümeriebranche, und wieviel mussten Sie dann erst neu erlernen und entdecken? 

Camille Goutal: Als meine Mutter starb, hatte ich gerade meine erste Tochter, und zur selben Zeit arbeitete ich mit Fotografie. Ich erbte die Hälfte von Aromatique Majeur, und Isabelle den anderen Teil. Also begannen wir zusammen zu arbeiten, und zur selben Zeit fing ich an, bei Annick Goutal zu arbeiten, als eine Art Consultant, künstlerische Direktorin, oder wie auch immer (lacht)… und dann, von Jahr zu Jahr, wurde ich mehr eingebunden in die Firma Annick Goutal, und ich begann ebenfalls, zu lernen, wie man Düfte kreiert – mit Isabelle. Ich hatte nie die Möglichkeit, zusammen mit meiner Mutter zu arbeiten… natürlich war es mir jederzeit erlaubt, an allem zu riechen, was sie gerade kreierten, denn das Laboratorium war in unserem Haus, und wenn ich von der Schule heim kam, konnte ich all das riechen… aber davon abgesehen, wusste ich nicht, wie die Formeln der Düfte kreiert werden. Daher musste ich erst einmal all das von Isabelle lernen…

Essenza Nobile: … Isabelle war also Ihre Lehrerin?

Camille Goutal: Ja, sie war meine Privatlehrerin! (lacht)

Essenza Nobile: Isabelle, inwiefern unterscheidet sich Ihre heutige Zusammenarbeit mit Camille gegenüber der mit ihrer Mutter Annick Goutal, mit der Sie immerhin mehr als 15 Jahre gemeinsamer Arbeit verband?

Isabelle Doyen: Nun, es ist die gleiche Art von Zusammenarbeit, da Camille den selben Sinn für Perfektion hat, und für … wie sagt man doch gleich? „Exigence“… in Französisch heißt es „exigence“ (=„Anspruch“, Anm. d. Redaktion). Und sie lacht auch genau so gerne, und so weiter… es ist gar nicht so unterschiedlich. Außer, dass sie eben etwas über 30 Jahre alt ist… also bringt sie mir eine jüngere Atmosphäre (lacht). Und wir haben beide junge Mädchen – darin mag ein Unterschied bestehen… sie hat ein Mädchen und ich habe ein Mädchen im selben Alter, also haben wir auch die selben Sorgen (lacht). All das hat einen Einfluss auf die Art, wie wir arbeiten und wie wir die Dinge betrachten… 

Essenza Nobile: Camille Goutal und Isabelle Doyen – diese beiden Namen werden häufig in einem Atemzug genannt, erscheinen zuweilen fast untrennbar miteinander verbunden. Was verbindet Sie, was schätzen Sie aneinander besonders, und wie gestaltet sich Ihre Zusammenarbeit und Arbeitsteilung konkret?

Camille Goutal: Als meine Mutter mit Isabelle arbeitete, war die Marke „Annick Goutal“ – es war ihr Name, und ich denke, es war ganz logisch, dass die Leute immer nur von meiner Mutter sprachen. Doch als ich begann, mit Isabelle zu arbeiten, war es mir unangenehm, dass sie zwar die Düfte kreiert hatte, die Menschen aber dachten, dass ich sie gemacht habe. Ich mochte das nicht, und ich wollte immer, dass die Leute wissen, dass Isabelle an dem Parfum mit mir gearbeitet hatte, oder dass sie daran ganz allein gearbeitet hat – oder manchmal auch ich… wenn wir Düfte komponieren, ist es manchmal nur sie, manchmal bin nur ich es – und manchmal sind es Isabelle und ich, die die Formel dafür erschaffen haben.

Wenn Isabelle an einer Duftformel arbeitet, rieche ich alle Düfte – und umgekehrt. Wir helfen uns gegenseitig, in gewisser Weise ist es wie zusammen an der selben Formel zu arbeiten; ihres und meines – es ist das selbe… wir haben einfach die richtige Balance gefunden.

Soviel zu unserer Arbeit. Aber wie Isabelle zuvor bereits gesagt hat, haben wir auch eine sehr gute persönliche Verbindung zueinander, beispielsweise aufgrund der Tatsache, dass wir beide Kinder haben, dass wir mehr oder weniger den selben Geschmack haben in Bezug auf Musik, Film, Theater, was auch immer… Wir mögen nicht alles gleichermaßen, wir haben selbstverständlich unsere persönlichen Vorlieben, aber im allgemeinen mögen wir mehr oder weniger die gleichen Dinge. Wir haben die selben Interessensschwerpunkte im Leben. Und, das ist meiner Meinung nach das allerwichtigste dabei: Wir haben die selbe Vision vom Leben. Das ist wichtig…

Essenza Nobile: Sie sind also Freundinnen?

Camille Goutal: Ja, natürlich! Ebenso, wie auch schon Isabelle und meine Mutter Freundinnen waren.

Camille Goutal – © Antoine de Parseval

Essenza Nobile: Isabelle, man sagt von Ihnen, dass Sie sich bereits als Kleinkind erste tiefschürfende Gedanken über einschlägige Themen der Parfümeriebranche machten – zum Beispiel sollen Sie speziell über den Duft von Rosen und Birnen philosophiert haben, als Sie gerade einmal vier Jahre alt waren. Stimmt das?

Isabelle Doyen: Ja! Ich hatte diese große Frage in meinem Sinn über den Duft der Rose, wie er nach Birne riechen könne, und – umgekehrt – wie die Birne nach Rosen schmecken könnte. Mit fünf Jahren hatte ich die Antwort noch nicht gefunden. Doch nun habe ich sie…

Essenza Nobile: Wann fanden Sie die Antwort?

Isabelle Doyen: Als ich begann, die Parfumeursschule zu besuchen, und ich heraus fand, dass ein Teil der Inhaltsstoffe der Rose, die ich mochte, auch in der Birne vorkam, die ich ebenfalls mochte. Ich war also sehr erstaunt und es war für mich so, als entdeckte ich ein ganzes Universum, als ich damit begann, die Antworten in Bezug auf all diese Mysterien zu finden… ich war ein kleines Kind, als ich mir Gedanken über Rosen und Birnen im Garten meiner Großmutter machte, und vielleicht 20 Jahre später fand ich die Antworten – in jener Schule…

Essenza Nobile: Glauben Sie also, dass Sie die ersten Schritte Ihrer Karriere als Parfumeurin bereits im Alter von vier Jahren machten?

Isabelle Doyen: Nun, in gewisser Weise… ja! Denn der Geruch, und die Düfte und das Parfum waren ein großes, großes Mysterium für mich. Wie auch das Parfum der Frauen – ich machte mir viele Gedanken darüber. Was das eigentlich war, wie es auf die Haut kommt – ich wusste nichts über all das. Und als ich herausfand, dass es da eine Schule gibt, wo man diese Antworten erhalten kann, war klar, dass es das war, was ich tun wollte. Ich wollte die Antworten bekommen…

Essenza Nobile: In welchem Alter war es Ihnen definitiv klar, dass Sie eine Parfumeurin werden würden?

Isabelle Doyen: Als ich 20 war… als mir ein Freund von mir erzählte, dass diese Parfumerieschule existiert, um zu erlernen, wie man Parfum herstellt – genau in dem Moment sagte ich zu mir: Okay, das ist es, was ich will!

Essenza Nobile: Auf jedem neuen Duft, den Sie veröffentlichen, steht immer der Name Ihrer Mutter, Annick Goutal. Inwiefern verpflichtet dies in besonderem Maße dazu, immer alles unter dem Aspekt abzuwägen, zu konzipieren und zu betrachten, dass es so auch im Sinne Ihrer Mutter gewesen wäre?

Annick Goutal mit ihrer Tochter Camille

Camille Goutal: Das ist eine Frage, die ich mir niemals stelle… nie! Es wäre ja schrecklich, wenn wir uns andauernd solche Dinge fragen müssten wie: „Hätte sie es gemocht?“ Isabelle arbeitete immer für meine Mutter und die Marke Annick Goutal, von daher fühlt und weiß sie intuitiv, was zu der Marke passt, es ist wie ein Instinkt – und bei mir ist es ebenso. Deshalb müssen wir uns nicht dauernd diese Fragen stellen. Ich denke, man würde sich dann fühlen als wäre man ein Gefangener, wie ein Gefangener in einem Käfig, oder so ähnlich…

Essenza Nobile: Aber haben Sie gleichwohl eine Idee, was Ihre Mutter zu „Le Mimosa“ sagen würde?

Camille Goutal: (lacht) Ich weiß es nicht… ich kann es nicht sagen, ich bin ja nicht sie. Ich bin eigentlich sicher, dass sie alle Düfte geliebt hätte, die ich bislang mit Isabelle kreiert habe. Wir arbeiten in der gleichen Weise wie sie es tat, wir verwenden die selbe Art von Ingredienzien die sie liebte – aber wir verwenden diese, weil wir sie ebenfalls lieben, und nicht, um es genau so zu machen wie sie; das ist der Unterschied. Wir haben also nicht versucht, sie zu kopieren. Das interessiert uns gar nicht. Das Leben geht weiter…  ich denke vielmehr, die Tatsache, dass wir ebenfalls mit viel Empfindsamkeit, Gefühlen und Emotion kreieren – das macht letztlich das Erbe der Marke aus.

Essenza Nobile: Haben Sie vielleicht eine Ahnung, welche Beziehung Ihre Mutter speziell zur Mimose hatte? Ich denke beispielsweise daran, dass schon der 1982 erschienene Duft „Eau de Charlotte“ einen Mimosenakzent in der Herznote enthielt…

Camille Goutal: Ich weiß nicht… sie war fasziniert von der Natur. Sie liebte die Natur! Mimose ist ein sehr interessanter Inhaltsstoff im Parfümeriewesen, eine sehr reichhaltige Ingredienz – ich denke, sie ist generell faszinierend für Parfumeure, daher meine ich, dass meine Mutter sie liebte, aufgrund all der Reichhaltigkeit, die der Mimose innewohnt. Und sie liebte die Blume! Ich erinnere mich, dass wir einen Mimosenbaum in unserem Ferienhaus hatten…

Essenza Nobile: Die Firmengeschichte von Annick Goutal begann 1981 mit der Eröffnung der ersten Parfum-Boutique in der Rue de Bellechasee in Paris. Damit gibt es die Marke Annick Goutal – wenn mich meine Kenntnisse in höherer Mathematik nicht täuschen – in diesem Jahr seit… 30 Jahren?

Camille Goutal: Ja, das ist richtig!

Essenza Nobile: Wird dieses Firmenjubiläum von Ihnen in irgendeiner Weise begangen… oder darf man vielleicht gar so etwas wie ein Geburtstags-Special erwarten?

Camille Goutal: (geheimnisvoll) Ääähm… ich denke… ja. Nein, ich denke nicht – ich weiß es! (lacht) Wir werden im September einen neuen Duft herausbringen, ein feminines, sehr spezielles Parfum… und es wird außerdem auch eine limitierte Auflage von Eau d´Hadrien geben, das wird ebenfalls etwas sehr besonderes sein…

Essenza Nobile: Aber Sie können nicht mehr darüber sagen?

Camille Goutal: Nein… kann ich nicht!

Essenza Nobile: Es ist geheim?

Camille Goutal: Geheim! (lacht)

Essenza Nobile: Camille und Isabelle, es war mir wirklich eine große Freude, Sie zu treffen. Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, meine Fragen zu beantworten!

Camille Goutal: Merci, merci!

Essenza Nobile: Merci beaucoup und … au revoir!

Annick Goutal – Le Mimosa

Unser Interview mit Isabelle Doyen und Camille Goutal führte Erik Vogel im März 2011