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„Ein Bildersturm, der Klarheit schafft“: Interview mit Indie-Parfümeur Andy Tauer

25.04.2022 09:12

Andy Tauer, Los AngelesBilderstürmer des Parfümerie-Handwerks, Düfte-Poet, Olfakto-Revoluzzer, Independent- und Selfmade-Parfümeur: So manches illustre Schlagwort kommt einem in den Sinn, wenn es um den Schweizer Parfum-Tüftler Andy Tauer geht. Doch anstatt den Mann in stickige Schubladen zu packen, lassen wir ihn doch besser einmal tief Luft holen – und gleich selbst zu Wort kommen.

Vorhang auf und Bühne frei also für... Andy Tauer!

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Essenza Nobile: Andy, beginnen wir das Interview gleich mal mit einer ziemlich indiskreten und intimen Frage: Wann warst Du das letzte Mal mehr als 24 Stunden lang offline?

Andy Tauer: Oje. Das ist Jahre her – (geht einen Moment in sich) ... manche Jahre, in der Tat. Eigentlich schon fast erschreckend. Ich sehe da eine faszinierende Annäherung an Science-Fiction Figuren aus Geschichten, die ich vor Jahren gelesen habe...

Essenza Nobile: Du bist sehr aktiv im Internet, schreibst einen eigenen Blog und betreibst neben der Website und Facebook-Präsenz Deines Labels Tauer Perfumes auch noch die Online-Plattform „Perfumism“. Welche Bedeutung hat der Faktor Internet für Dich und Dein Schaffen?

Andy Tauer: Von einem kommerziellen Standpunkt her: Tauer als Parfummarke ist ohne das Internet undenkbar. Das fängt beim Verkauf an: Ich fand meine ersten KundInnen 2005 (abgesehen von den Kunden im Buchladen Medieval art & vie in Zürich) über das Internet. Und es endet bei einer globalen supply chain für meine Produkte, die ich ohne das Internet als Einzelperson so nicht aufrechterhalten könnte. Das Internet und die darin eingebetteten Kommunikationsmittel sind ja bekanntlich eine „disruptive“ Technologie: Im Bereich Parfümerie führt das Netz der Netze zu tiefer gelegten Eintrittshürden in den Markt und zu einer Demokratisierung der Kreation und Produktion von Düften – und letztlich zu einer Demokratisierung der Kommunikation zu Düften.

Andy Tauer

Früh übt sich, wer später mal Parfümeur werden will: Andy Tauer vor ca. 45 Jahren. Schon als kleiner Knirps konnte Andy offenbar nur schwer seine Hände von duftenden Schätzen lassen…

Auf einer kreativen Ebene finde ich das Internet super spannend. Es ist ein Panoptikum an Menschen, mit ihren Meinungen, Vorlieben, Temperamenten und Abgründen; ein Spiegelbild, ein Zerrbild, eine superschnelle Feedbackmaschine, und manchmal findet sich eine spielerisch anmutende Intelligenz, Schwarmintelligenz, oder kollaborative Intelligenz im Netz, die mir zuweilen hilft, auf neue Ideen für bestehende Probleme zu kommen.

Essenza Nobile: Ist das Internet und der permanente Austausch mit Deinem Publikum für Dich „einfach nur“ spannende Kommunikation, oder auch so etwas wie ein integraler Bestandteil Deines künstlerischen Schaffens, also des „Gesamtkunstwerkes Andy Tauer“?

Andy Tauer: Also, zuerst einmal gibt es kein Gesamtkunstwerk „Tauer“. Ich bin froh, wenn die Messlatte nicht so hoch angelegt wird: Ich bin sicherlich ein „Kreativer“, aber ich lasse für das, was ich mache, die Finger vom Begriff „Kunst“. Die Welt der Düfte ist ohnehin schon unglaublich aufgepumpt und mit Erwartungen überladen. Sagen wir doch einfach: „Handwerk“. Die Kommunikation, der Austausch, der Spiegel im Schreiben und Gelesenwerden: Ja, das ist ein integraler Teil meines Handwerks. Und natürlich: Wie die meisten Gestalter bin ich wie ein kleines Kind, und renne zu Muttern mit der neuesten Zeichnung, auf Lob und Anerkennung wartend. Auch dies ist wichtig: Die Motivation durch ein kritisches Publikum. Ein klitzekleines Element von Narziss ist auch mir nicht fremd.

Das Internet ist ein Medium, das in diesem Sinne recht gefährlich sein kann. Es kann auch eine Narzissmus-Maschine sein.

Essenza Nobile: Mal angenommen, es gäbe kein Internet: Wären Deine Duft-Kreationen dieselben?

Andy Tauer: Nein.

Essenza Nobile: Fällt Dir spontan ein anschauliches Beispiel dafür ein, wie Input aus dem Internet Deinen kreativen Prozess beeinflusst hat?

Andy Tauer: Hmmm... (überlegt). Eine gute Frage. Mit dem vorherigen „Nein“ als Antwort geht lustiger Weise kein anschauliches Beispiel einher. Hmmm... lasse uns kurz über den „kreativen Prozess“ sprechen. Ich vergleiche den gestalterischen, kreativen Prozess gerne mit einem flüssigen Aggregatzustand. Flüssig, und im Fluss, in verschiedene Richtungen laufend, und Strömungen folgend, wobei sich die Gründe für die Strömungen unserer Kenntnis entziehen. Flüssig, aber nicht völlig losgelöst wie ein gasförmiger Zustand, in welchem sich Moleküle in der Unendlichkeit verlieren können. Bis zu einem gewissen Grad ist der flüssige kreative Fluss zielgerichtet und fokussiert. Die Ebene, über welche dieses flüssige Etwas fließt, ist voller Ecken und Kanten und Verwerfungen. Welches Element wie in welcher Situation was beeinflusst hat, ist schwierig zu sagen. Vor allem, wenn wir uns selber in diesem Fluss bewegen, sind wir Bewegte wie Beweger. Darum sage ich häufig: Fragt nicht den Parfümeur nach dem WIE und WARUM. Er weiß es nur bedingt.

L‘Air du désert marocain

Andy Tauer: Flakon-Skizze zum Erfolgsduft L‘Air du désert marocain

OK. Um Deine Frage zu beantworten: Während der Entwicklung von Incense rosé, einem Weihrauchduft, hatte ich große Probleme, und wünschte mir manchmal, einen anderen Weg gegangen zu sein. Ich spielte nur auf einer Ebene und war irgendwie nicht happy, weil ich spürte, dass ich eine andere Ebene in meinen Weihrauch-Tüftlereien auslasse. Ein Kommentar einer Parfumliebhaberin auf meinem Blog brachte mich auf die Idee, dass ich zwei Weihrauchdüfte machen könnte/sollte: Und so war Incense extrême als Idee geboren...

Essenza Nobile: Parfümeure stehen ja gemeinhin nur selten im Rampenlicht. Alle Welt kennt, trägt und bewundert ihre Duftschöpfungen, doch die Parfümeure selbst bleiben meist „auffällig unauffällig“ im Hintergrund, im Schatten ihrer Kreation. Ihre Arbeit vollzieht sich zumeist ähnlich geräuschlos und unbemerkt wie die des Osterhasen. Oder eines Geheimagenten. Warum ist es eigentlich so außergewöhnlich, dass ein Parfümeur – so wie Du – im Internet seine Arbeit ganz offen darstellt und seine alltäglichen Erfahrungen und Gedanken freimütig mit anderen Menschen teilt?

Andy Tauer: Ist es dies? ... (schmunzelt). Ich fühle, wie sich die Dinge hier zu ändern beginnen. Aber sicher: Ich glaube, mein Blog war ein „first“. Es war ein wenig außergewöhnlich, weil ich mich nicht entblößte, auch über Irrungen, Wirrungen und komplettes Versagen zu berichten. Nicht nur in der Kreation, sondern auch im Aufbau meiner Marke. Das war wohl ein wenig „speziell“, aber so ist das Leben. Auf und ab,... und darüber zu schreiben hilft, wenn es mal wieder bergab geht.

Essenza Nobile: Parfums sind ja oft von einer Aura des Mystischen, Geheimnisvollen und Erhabenen umgeben. Wird das Thema Parfum und Parfumherstellung dadurch, dass man es im Internet so ausgiebig breittritt, ein Stück weit „entmystifiziert“? Oder ist womöglich gar genau das Deine diabolische Absicht? (lacht teuflisch)

Andy Tauer ... © Dominique Meienberg

Die Nase des Parfümeurs: Andy Tauers zweifellos wichtigstes Arbeitswerkzeug in Nahaufnahme (Fotografie: © Dominique Meienberg)

Andy Tauer: Die Welt der Parfums ist eine Spezielle, auch von der Erwartungshaltung der Konsumenten her. Die Welt der Düfte ist von Wölfen in Vollmondnächten besiedelt, von Frauen in Verzückung, von Herren in endlosen Abenteuergeschichten, von wertvollsten Essenzen und verführerischen erotischen Bildern. Die Gestaltung von Parfüms wird bis zu einem gewissen Grad als ein Schöpfungsprozess dargestellt, der mystische Züge aufweist – und vom Konsumenten auch so wahrgenommen. Diese Bilder werden ganz bewusst von der Industrie beleuchtet und am Leben gehalten. Ansonsten würde die nachfolgende Bilder- und Geschichtenwelt nicht mehr funktionieren. Ein Parfumlabor bei Givaudan, IFF oder Procter ist unsinnlich, und die Arbeit eines Parfümeurs dort besteht zum großen Teil für die Schublade. Bestellt ein Kunde, wird etwas Passendes aus der Schublade gekramt 

Bezüglich „diabolisch“: Ich bin für Aufklärung und wünsche mir manchmal einen Bildersturm, der Klarheit schafft. Klarheit auch darüber, was artisanale Nische unterscheidet.

Essenza Nobile: Du hast nie eine Parfümerieschule besucht, kommst ursprünglich aus dem Bereich der Chemie und bist promovierter Chemiker. Wie hilfreich waren die Kenntnisse in Chemie für den Berufswechsel ins Parfümeriefach?

Andy Tauer: Die Kenntnisse: Wenig bis gar nicht. Ursprünglich habe ich ja auch nur rein natürliche Düfte kreiert. Sicher: Die Chemie hilft, in Formeln zu denken, aber die Kreation, das gestalterische Moment wird von anderswo genährt.

Was geholfen hat und immer noch hilft: Ich habe während meiner Dissertation über Jahre gelernt, durchzuhalten.

Essenza Nobile: Kann man von Dir denn überhaupt behaupten, dass Du als Parfümeur „von Null“ angefangen hast?

Andy Tauer: Das ist sogar sehr so.

Essenza Nobile: Aber Chemie scheint der Parfumherstellung ja doch immerhin deutlich verwandter zu sein als, sagen wir einmal, Volkswirtschaftslehre oder vergleichende Religionswissenschaft…

Andy Tauer: Die „Herstellung“ im Sinne von Produktion ist ja recht einfach. Trotz EU-Kommission, EU-Gesetzgebung und Richtlinien etc. Die Kreation von Düften hingegen ist komplizierter, und wie es duftet, ist in der Arbeit mit natürlichen Extrakten aufgrund der Komplexität schwierig vorherzusehen. Mit zunehmender Anzahl Komponenten in einer Mischung gilt dies auch für Synthetika, Einzelmoleküle. Es gibt dieses Phänomen, dass das Resultat einer Mischung mehr ist als die Summe der Einzelteile. Und dann gibt es das Phänomen, dass wir alle, jeder für sich, Düfte anders wahrnehmen. Meine Kreation riecht für Dich anders als für mich. Duftwahrnehmung ist eingebettet in Erinnerungen und Emotionen. Vom Einfluss der Haut ganz zu schweigen. Für mich ist dies Metaphysik. Wahrscheinlich ist vergleichende Religionslehre kein schlechterer Ausgangspunkt für die Parfümerie als die Chemie. Es kommt auch darauf an, über welche Düfte wir sprechen: Die Beduftung von Weichspüler ist wohl eher eine chemische Angelegenheit. Das muss ich ja glücklicherweise nicht machen... wobei: Manchmal denke ich mir, dass die wahre Kunst wohl ist, einen guten Weichspüler-Duft für wenig Geld zu machen…

Andy Tauer - Die sieben Gebote des Parfümeurs

Die sieben Gebote des Parfümeurs: Was auf den ersten Blick aussieht wie ein Fleischwolf, an dem ein Einkaufszettel hängt, ist in Wirklichkeit ein Fleischwolf, an dem Andy Tauer die „sieben Kriterien für schöne Düfte“ von Meisterparfümeur Edmond Roudnitska befestigt hat. Der unscheinbar wirkende Fresszettel hat es in sich: Er enthält in sieben schlichten Worten das Geheimnis und die Essenz großer Parfümeriekunst…

Essenza Nobile: Wie bist Du bei der Aneignung Deines heutigen Wissens über Parfumherstellung vorgegangen? Googeln, Bücher lesen, durchschnuppern – und einfach mal beherzt ausprobieren?

Andy Tauer: Genau so: Bücher lesen, angefangen bei Mandy Aftels „Essence and Alchemy“, ein toller Start in die Welt der Naturparfümerie! Und dann ausprobieren, experimentieren und an den Klassikern lernen, und den eigenen Fehlern, und lernen Geduld zu entwickeln, und den Mut, die Dinge anders anzugehen, innovativ zu sein. Weißt Du: Ich bekomme viele Anfragen von Duft-LiebhaberInnen, die gerne selber auch autodidaktisch Parfümeure werden möchten. Ich gebe keine Tipps und habe vollständig aufgehört, Ratschläge, und seien sie noch so klein, zu geben. Ich bekam zu viele Anfragen hierzu. Die Information ist da, mit Google erreichbar, man muss sie nur suchen.

Und ich sage immer: Wenn Du nach Rat und Hilfe fragst, hast Du schon verloren.

Essenza Nobile: Welche Qualitätskriterien muss eine Parfumschöpfung von Dir erfüllen, damit Du sagst: Ja, davon dürfen die Nasen der Menschen erfahren, das darf die Welt riechen, das kann über die Theke gehen?

Andy Tauer: Es muss mir gefallen. Und das über Monate. Ich trage alle meine experimentellen Düfte, normalerweise über Nacht.

Edmond Roudnitska hat in seinem Büchlein „Le Parfum“ (veröffentlicht 1980, ISBN 2 13 046057 7, leider vergriffen und nicht mit Elenas Nachfolgebüchlein zu verwechseln), Kriterien für einen schönen Duft festgehalten. An diese halte ich mich auch; ein schöner Duft muss gemäß diesen Kriterien balanciert sein: Charakter, Kraft, Zartheit, Ausbreitungskraft, Klarheit, Volumen und Ausdauer. Neben meinem Schreibtisch gibt es einen alten Zettel; da stehen diese Parameter drauf, und dieser Zettel ist für mich wie ein Gatekeeper seit Jahren – und erfüllt seinen Zweck…

Essenza Nobile: Du betonst immer mal wieder, dass auch synthetische Duftstoffe für Dich aus der Parfumherstellung nicht wegzudenken sind. Mit „Pentachords“ hast Du sogar eine ganze Serie von Düften kreiert, die auf rein synthetischen Molekülen basieren – was ja durchaus als Statement, als demonstratives Bekenntnis verstanden werden kann. Warum ist es Dir scheinbar so wichtig, das klarzustellen?

Andy Tauer: Wegen dem „Überbau“, diesem New-Age Gugus (Schweizerdeutsch für Blödsinn), diesem fast religiösen Glauben, dass „natürlich“ immer besser sei. Ich sage immer: In der Parfümerie ist Natur (oder Synthetisch) nicht besser, sondern anders. Mir ist dies sehr wichtig. Es gibt diesen Trend, alles was "natürlich" ist, per se für besser zu halten. Das ist eine sehr eigenwillige Sicht der „Natur“. Mutter Natur ist nicht nett, sondern lässt ihre Kinder verhungern und empfindet kein Mitleid hierbei. Mutter Natur ist um eines besorgt: Genetische Vielfalt. Individuen spielen als Genträger eine Rolle. Die Verklärung der Natur als Hort des Glücks und mütterlicher Wärme, zartem Behütetsein, empfinde ich als leicht dekadent.

Sorry – ich schweife ab. Natürliche Extrakte heißt zum Beispiel oftmals: unglaubliche Komplexität und Tiefe. Aber rein natürlich zu arbeiten heißt: Limitation auf eine Palette und Begrenzung der Effekte und Parameter. Dasselbe gilt analog für Synthetika.

Also nochmals: Weder das eine noch das andere ist besser.

Andy Tauer - Medieval Art & Vie

Wo alles begann: Der Züricher Buchladen „Medieval art & vie“ ist so etwas wie die Kinderstube der Tauer-Düfte – v.l.n.r.: Pascal Wehrle, Béatrice Gaudenzi, Andy Tauer

Essenza Nobile: Hingegen ist es ein ganz und gar natürlicher Blütenduft, mit dem Dich eine Art lebenslange Liebe verbindet; die Rede ist von der Lindenblüte! Zeit für eine öffentliche Liebeserklärung: Was hat sie, was andere nicht haben?

Andy Tauer: Ich bleibe mit meinen Liebeserklärungen eher privat (schmunzelt). Lady Linden hat einen unglaublichen Charme durch Ihre Bescheidenheit und strahlt eine innere Fröhlichkeit aus. Am späten Nachmittag, wenn sie von der Wärme und dem Licht leicht beschwipst ist, wird sie allerdings auch ein wenig anhänglich....

Essenza Nobile: Kannst Du Dich noch an den Moment erinnern, als Du zum ersten Mal den Duft einer Lindenblüte geschnuppert hast?

Andy Tauer: Ich wuchs auf dem Land auf – wohlbehütet, eingebettet in eine noch recht ursprüngliche Umwelt, und in der Nähe wuchsen große stattliche Lindenbäume. Ich glaube, ich habe diesen süßen grünen Duft der Lindenblüten schon als Embryo gerochen.

Essenza Nobile: Und wie war das – Liebe auf den ersten „Sniff“? 

Andy Tauer: Ich habe wenig Erinnerungen an meine pränatale Zeit…

Essenza Nobile: …schade! (lacht) – Deine ersten beiden Parfums hast Du für „Medieval Art & Vie“, einen Buchladen in Zürich gemacht. Wie kam es dazu? Und was hat ein Buchladen eigentlich mit Düften zu tun?

Andy Tauer: Der Buchladen gehört Pascal; Pascal ist ein Freund seit gut 25 Jahren. Und er hat auch eine besondere Beziehung zu Marokko, so dass sich in seinem Buchladen auch viel marokkanischer Krimskrims und schönes Kunsthandwerk finden. Eines Abends, vor ca. 9 Jahren, habe ich zum Abendessen eingeladen und nach dem Dessert haben wir noch ein wenig gerochen: Zedernholz aus Marokko, Rose, Jasmin. Pascal fand, dass ich unbedingt einen Duft, um diese natürlichen Essenzen herum aufgebaut, für ihn und seinen Laden gestalten sollte. Diese Idee hat mich gereizt, da ich bis dahin nur für mich und Freunde und Familie komponiert habe, und ohne viel zu überlegen habe ich mich in die Arbeit gestürzt.

Andy Tauer - Le Maroc pour elle

Andy Tauer: Skizze zum Parfum-Debut Le Maroc pour elle (2005)

Die Flasche, die wir für den Duft gewählt haben, die Verpackung, die Texte: Alles war schrecklich, im Nachherein. Aber so hat alles angefangen: So ist das Le Maroc pour elle entstanden. Danach folgte noch das Air du désert marocain. Der Grund: Das Le Maroc hat sich nicht verkauft, und ich dachte mir, dass ich die „marokkanische Palette“ noch ein wenig erweitern müsste. So nach dem Motto: Einer, der zwei Düfte im Regal hat, dem glaubt man (lacht)… Glücklicherweise haben Pascal und ich immer an die Düfte geglaubt. Auch als wir nach dem Flop Le Maroc pour elle die beiden einzigen waren, die an die Idee Tauer Perfumes geglaubt haben.

Essenza Nobile: Und gleich die zweite Deiner beiden besagten ersten Duft-Veröffentlichungen, L‘air du désert marocain, hat dann in der Parfum-Szene eingeschlagen wie eine Bombe. Der renommierte Parfumkritiker Luca Turin zeichnete den Duft mit fünf Sternen, als Meisterwerk aus. Hattest Du bei der Kreation des Parfums eigentlich schon so eine Ahnung, dass da gerade etwas Großes unter Deiner Nase entsteht?

Andy Tauer: Nein, nein – das dann doch nicht! Außer der Begeisterung, die ich für jedes meiner Parfums entwickle.

Essenza Nobile: Hat Dich das Lob der Parfumkritik also ernsthaft überrascht?

Andy Tauer:  Ja, das dann doch eher. Ich war ja noch so jung und unerfahren (schmunzelnd).

Essenza Nobile: Wenn gleich am Anfang alles so unverschämt gut gelingt – besteht da nicht die Gefahr, abzuheben oder gar größenwahnsinnig zu werden? Oder hast Du dagegen ein wirkungsvolles Rezept?

Andy Tauer: Ja, das habe ich in der Tat: Ein Blick in die Buchhaltung lässt mich immer wieder auf den Boden der Tatsachen kommen, in aller Dankbarkeit für meine vielen Kunden und in Bescheidenheit.

Andy Tauer: Illustration einer Gardenienblüte Andy Tauer: Illustration einer Gardenienblüte

Essenza Nobile: Das Jahr 2014 hat gerade begonnen. Hast Du Dir für dieses Jahr irgendwelche parfümistischen Großtaten vorgenommen – und wenn ja, worauf darf man gespannt sein?

Andy Tauer: Ich sage nur eins: Gardenia. Sotto la luna („unter dem Mond“). Der erste Duft einer Serie von Blüteninterpretationen, weiße Blüten in der Nacht.

Ja, und dann noch dieses und jenes kleinere Projekt. Das Leben ist kurz...

Essenza Nobile: Lass uns dieses Interview mit einer gepflegten Disharmonie, mit einem zünftigen Paukenschlag beenden! Neben Deinen außergewöhnlichen Parfums bist Du ja auch als ziemlich meinungsfreudiger Parfümeur bekannt, der kein Blatt vor den Mund nimmt, wenn es um Missstände im Parfümeriebereich geht. Du hast jetzt zwei Minuten Zeit, eine flammende Rede für die olfaktorische Revolution und eine bessere Parfum-Welt zu halten! Was läuft aus Deiner Sicht alles falsch – und was muss anders werden, damit es besser wird? Die Stoppuhr läuft…

Andy Tauer: Och, zwei Minuten sind ja fast gar nichts! ... Also, eigentlich geht es der Parfumindustrie ja recht gut. Viele neue Moleküle erlauben, Düfte zu gestalten wie noch nie. Das ist toll! Die Zahlen sind auch mehr oder weniger OK.

Es sind bei uns im „Westen“ immer noch genug Leute mit genug Geld da, die bereit sind ein paar hundert Euro für ein Fläschchen aqua banalis zu bezahlen. Das ist gut, weil dies eine Horde von Marketingdrohnen und Heftchen- und Filmchenmachern finanziert und beschäftigt. In den neuen aufstrebenden Märkten kaufen die Konsumenten immer noch brav die klassischen Marken und in den reichen Golfstaaten geht über den Ladentisch, was Oudh und Gold und Silber auf der Verpackung hat.

Die Kommerzialisierung, Konditionierung der Konsumenten und Banalisierung funktioniert. Noch.

Aber: Die Industrie läuft sich wund, auf allen Ebenen, auch in der Nische – und mit jeder weiteren Saison und weiteren Flankers, und mehr Düften und neuen Köpfen für dieselben Düfte und Kopien von Kopien von Kopien von Düften, die irgendwann in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts mal erfolgreich waren, wird ein Teil der Aura von Parfum abgetragen, verliert das Parfum das mystische Element. Konsumenten wollen zu viel von zu wenig Neuem. In der sogenannten Nische ertränken wir den Konsumenten mit neuen Düften und mit jeder konzeptionellen Banalisierung verliert die Nische den Charme – und die Entdeckerlust des Konsumenten geht verloren. Mit jeder weiteren Regulierungs- und Strangulierungsattacke einer EU-Kommission außer Rand und Band verlieren Klassiker an Größe und Brillanz und Schönheit… und die Konsumentin wendet sich weiter ab von den ehemaligen Meisterwerken.

Was bleibt? Kopf hoch, schöne Düfte machen und hoffen, dass bald einmal wieder ein heftiger Wind bläst, der die Spreu verbläst. Und dass die Konsumenten irgendwann die richtigen Fragen stellen werden. Doch, welches sind die richtigen Fragen?

Essenza Nobile: (Im Hintergrund ertönt ein dezenter Gongschlag) Das kann nun leider nicht mehr erörtert werden, denn die Zeit ist um (lacht). Andy – vielen lieben Dank für dieses sehr interessante Interview!

Andy Tauer, Joshua Tree

Sprödes Refugium: Der Schatten von Andy Tauer auf dem Boden des Joshua Tree Nationalparks in Südkalifornien. Ein bis zwei Mal pro Jahr reist Andy nach Los Angeles – und macht von dort gerne auch mal einen Abstecher in den Joshua Tree, wo er sich dann „für ein, drei Tage versteckt“, wie er uns verriet...

Unser Interview mit Andy Tauer führte Erik Vogel im Januar 2014.

Alle Bilder mit freundlicher Genehmigung von Andy Tauer.


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